Verein der Freunde der

Die Anfänge der Chirurgie in Heckeshorn

Nach Aufzeichnungen von Dr. Epifanio Allica und Dr. Ingeborg Schütz,
zusammengestellt von Vera Seehausen

„Das Schlimmste, was einer Lunge passieren kann, ist, dass sie von einem Chirurgen behandelt wird“


Operation Anfang der 1970er-Jahre, rechts Günter Freise, links Achim Gabler.

Die Anfänge

Mit Unterstützung amerikanischer Chirurgen und des Chefarztes von Hohengatow, Dr. Baukhage, richtete Karl Auersbach die Lungenchirurgie in Heckeshorn ein, die ab 1950 maßgeblich von Dr. Günter Freise ausgebaut und geprägt wurde.

Dr. Ingeborg Schütz, Stationsärztin im OP, über die Anfänge der Heckeshorner Chirurgie:
„Für die erste Lungenresektion zog Auersbach einen Kollegen aus den USA heran. Er selbst befasste sich nur mit der kleinen Chirurgie, die der Tuberkulosebehandlung vorbehalten war, und arbeitete mit Dr. Baukhage, dem Chefchirurgen aus Hohengatow, zusammen Aber wer in Deutschland hatte schon Erfahrungen auf diesem Gebiet? Der Kollege aus USA war nur einmal bei uns. Danach operierte Baukhage. Er hatte bei den ersten Operationen neben sich einen Anatomieatlas liegen! Trotz der mangelnden Routine gab es kaum Komplikationen.“
„Dazu kam, dass unser Operationssaal – eine hochtrabende Bezeichnung – ein ehemaliger Büroraum der damaligen Heeresluftschutzschule war: viel zu klein, schlecht belüftet: Im Sommer stellten wir große Aluminiumplatten als Sonnenschutz vor die Fenster. Trotzdem war ein Pfleger stets damit beschäftigt, uns den Schweiß von der Stirn zu wischen. Ein einziger kleiner Vorraum war Umkleide-, Wasch- und Vorbereitungsraum. Da kam es dann schon mal vor, dass die Putzfrau ihr Korsett auf die Aktentasche unseres Chirurgen gelegt hatte.“

In den Anfängen der Thoraxchirurgie in Heckeshorn standen Operationen der Tuberkulosepatienten im Vordergrund, insbesondere Kollaps-Operationen. Die Gefahr der Nachblutung bei der Pneumolysenoperation konnte durch eine von Karl Auersbach und Hans-Jürgen Brandt entwickelte Methode gebannt werden: Zusätzlich zu einem Thorakeurynter („Gummiballon“) setzten sie eine Saugdrainage ein, mit der Nachblutungen kontrollierbar wurden und die zudem das Abhusten für die Patienten erleichterte. Dieses Vorgehen wurde später an den pneumonektomierten Patienten vorgenommen [1]. Mitte der 1950er-Jahre löste die Lungenresektion die Kollapstherapie weitgehend ab; die wesentliche Verbesserung der Wirkung und Verträglichkeit der Tuberkulosemittel führte dazu, dass chirurgische Maßnahmen in der Tuberkulosebehandlung beinahe überflüssig wurden bzw. nur noch zur operativen Beseitigung von Defektheilungen und Komplikationen erforderlich waren. Zu dieser Zeit nahmen die Lungentumoren zu. Die Operationen erfolgten unter Anwendung der Pneumonektomie, der Lobektomie und auch der Segmentresektion, die Freise erstmals 1956 durchführte. Die Lungenchirurgie stand also innerhalb kurzer Zeit vor neuen Aufgabenfeldern: Radiotherapie und Chirurgie waren bis in die 1970er-Jahre die wesentlichen therapeutischen Maßnahmen für die Behandlung von Lungentumoren. In der Zusammenarbeit mit dem Rudolf-Virchow-Krankenhaus – Strahlenklinik – (unter der Leitung von Prof. Dr. Schumacher) erfolgte die perkutane Bestrahlungstherapie von operierten und nicht operierten Patienten. Zusammen mit der radiologischen (und nuklearmedizinischen) Abteilung wurde zusätzlich die Implantation von Radio- Gold-Seeds und Radio-Jod-Seeds durchgeführt. Diese Patienten erforderten eine besondere Postimplantations-Betreuung.

Die Akteure

Chirurgie und Anästhesie haben in Heckeshorn stets gut zusammengearbeitet. Günter Freise und der Oberarzt und spätere Leiter der Anästhesie-Abteilung (ab 1976) Wilhelm Schüler bildeten ein eingespieltes, erfolgreiches Team: „Wilhelm wusste, dass Günter pünktlich um 8 Uhr zu operieren begann – mit oder ohne Anästhesie“ (Allica). Freise, der in der Chirurgie mit dem Schwerpunkt Urologie begonnen hatte, kam 1953 nach Heckeshorn, wo er 1957 als Oberarzt und später als Chefarzt die Leitung der chirurgischen Abteilung übernahm, bis er 1975 in den Ruhestand verabschiedet wurde.

Karl Ludwig Radenbach über Günter Freise 1975: „Ihr persönlicher Ruf führte dazu, dass Allgemeinchirurgen und Professoren aus dem Ausland zu Ihnen kamen, um bei Ihnen die Lungenchirurgie zu erlernen.… Wenngleich Sie kein Chirurg waren, der aus Lust am Operieren Eingriffe vornahm, so waren Sie doch einer der wenigen Operateure, die blitzschnell arbeiten können. … Nur um zu zeigen, dass Sie das können, haben Sie einmal eine rechtsseitige Lungenoberlappenresektion vom Hautschnitt bis zur Wundnaht in 36 Minuten durchgeführt. Humorvoll sagten Sie bei solchen Gelegenheiten, nur Ihre Faulheit, allzulange im Operationssaal herumzustehen, sei der Grund für die Schnelligkeit. Jeder wußte, daß das nicht stimmt, denn Sie waren nicht nur ein schneller, sondern vor allem ein sicherer und exakter Operateur. … Häufig in fachlichsachliche Diskussionen verwickelt, waren Sie sonst aber wenig redselig. Das höchste Lob, ‚is aba janz scheen jeworden‘, war eine seltene Bemerkung.“ [6]

Seit 1965 unterstützte Dr. Achim Gabler die chirurgische Abteilung, ab 1966 als Oberarzt, ab 1976 dann als Chefarzt und Leiter der Abteilung bis zu seinem frühen Tod 1984. Gabler setzte Schwerpunkte in der Behandlung intrathorakaler Tumoren und erbrachte den Nachweis der Nützlichkeit der Operation des Bronchialkarzinoms mit mediastinalen Lymphknotenmetastasen. 1983 habilitierte er sich mit einer prospektiven Untersuchung über die offene Lungenbiopsie. Er führte die „Pneumologischen Streitgespräche“ ein, die ab 1992 gewissermaßen ihre Fortsetzung fanden in den „Thoraxchirurgischen Symposien“ von Prof. Dr. Dirk Kaiser, der 1985 die Leitung der Abteilung übernahm.


1983 Achim Gabler bei der täglichen klinischen Konferenz.

Aus dem Nachruf auf Gabler: „Fast täglich stand er den Angehörigen seiner Patienten gegen Abend zu einem Gespräch zur Verfügung. Zu seinem Ruf als geschickter Operateur erwarb er sich damit einen Namen als kompetenter Berater tumorkranker Patienten und derer Familienangehörigen … Sein stets um Ausgleich bemühtes Wesen hat viel zur Stabilisierung des oft unruhigen klinischen
Alltags getan.“ [5]

Dr. Siegfried Liebig, insgesamt von 1968 bis 1985 in Heckeshorn, übernahm 1973 als frisch anerkannter Facharzt für Lungenkrankheiten die Leitung der Wachstation und wurde später unter Gabler zweiter Operateur. 1973 kam auch Dr. Epifanio Allica als Facharzt für Chirurgie nach Heckeshorn (bis 2002), um die „nur“ thoraxchirurgisch tätigen Lungenärzte bei Problemen der allgemeinen Chirurgie zu unterstützen.

„Funktionsgerechtes Operieren“ lautete das Motto, unter dem die Chirurgie in Heckeshorn stand. Von internistischer Seite wurde der Chirurgie durchaus mit Skepsis begegnet: „Als ich 1973 nach Heckeshorn kam, war es üblich, dass der Neuankömmling sich den verschiedenen Chefs vorstellte. Ich hielt mich vorerst an diese Regel, nachdem die zuständige Sekretärin mir Gesprächstermine vermittelt hatte. Von den Gesprächen sind mir vor allem die Worte einer der damaligen Koryphäen der Klinik in Erinnerung
geblieben. Mit der Zigarette in der Hand sagte er mir: ‚Wissen Sie, das Schlimmste, was einer Lunge passieren kann, ist, dass sie von einem Chirurgen behandelt wird.‘“ (Allica)


Dr. Dr. Epifanio Allica

1977 wurde Dr. Ulrich Kuhl (1940–2001), von der Freien Universität kommend, zunächst Oberarzt und 1978 als Nachfolger Schülers Chefarzt der Anästhesie. Zusammen mit Gabler und Allica führte er – damals eine Pioniertat – die präoperative Eigenblutentnahme ein, darüber hinaus die routinemäßige Doppellumenintubation zur getrennten Beatmung sowie die intraoperative Überwachung aller Vitalfunktionen einschließlich der Blutgaskontrollen [4]. Kuhl galt als Pragmatiker, den nichts so leicht erschüttern konnte und der stets – nomen est omen – „cool“ blieb.


Ulrich Kuhl 1980bei der Vorbereitung einer Operation (Chefarzt der Anästhesie (1978-2001)).

Für eine reibungslose Zusammenarbeit im OP und auf den Stationen sorgte auch das Pflegepersonal, beispielhaft die damalige OP-Schwester Charlotte Gerulis, Schwester Otti Nußbaum von der Station 11, Schwester Kim Rindermann von der Station 2 sowie die langjährige Sekretärin Karin Blaehr, die immer für Ärzte, Pflegepersonal und Patienten eine große Hilfewar. Schon Freise hob „den Erfolg eines gemeinschaftlichen Bemühens einer ganzen Mannschaft“ hervor, „einer Teamarbeit, bei der jedem einzelnen der Abteilung durch seinen Einsatz ein Anteil und Verdienst am Fortschritt zusteht und ihm dafür gedankt werden muß“ [2].

Die Arbeitsschwerpunkte

Das Aufgabenspektrum der Chirurgie war weit gefasst.
Gängige diagnostische Eingriffe waren und sind die offene Lungenbiopsie, Mediastinoskopie, Biopsie und Entfernung von peripheren Lymphknoten, Knochenpunktion und Lymphografie. Ein häufiger Eingriff war die Apico-Dorsal-Drainage, die eine Eintrittsstelle im Thoraxraum ermöglicht und dem Patienten dazu verhilft, besser und schmerzfrei zu atmen.

„Eine geistig behinderte Patientin wurde mit einer offenen schweren Lungentuberkulose auf der Station ‚Flachbau 2‘ aufgenommen. Sie war sehr unruhig und kachektisch und verweigerte jede Nahrung, trotz aller Bemühungen der Schwestern.
Die Witzelfistel war schließlich die Rettung. Durch den angelegten dicken Katheter konnten die Nahrung und die notwendigen Medikamente zugeführt werden; der Zustand der Patientin stabilisierte sich. Der Erfolg wurde erreicht durch eine alte, fast vergessene chirurgische Maßnahme.“ (Allica)

Neben den klassischen Lungenkrebsoperationen werden aber auch Operationen zur Behandlung von Komplikationen nach Strahlentherapie durchgeführt, z. B. Magenhochzug oder retrosternaler Bypass mittels Darm bei Ösophagusstenosen, Resektionen oder Implantationen von Ösophagusendoprothesen wie Celestin- oder Höring-Tuben.

„Eine besondere Erwähnung verdient der Instabile Thorax. Es waren Zeiten mit sehr eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten. 1973 hatten wir z. B. auf der Wachstation nur ein einziges Beatmungsgerät. Gelegentlich halfen wir uns mit einem Anästhesiegerät. Die Berliner Kliniken überwiesen uns die ersten traumatischen Fälle mit instabilem Thorax, verursacht durch multiple Rippenbrüche, sowie mit Hämatothorax oder Pneumothorax. In jener Zeit war die ‚Allgemeine Osteo-Synthese‘ die bevorzugte Behandlung bei Knochenbrüchen. So begannen wir die Behandlung von Rippenbrüchen mit einer Halbrohrplatte, die wir später auf traumatische Brüche des Brustbeins, die eine Instabilität des Thorax verursachten, ausweiteten.“ (Allica)

Eine weitere Aufgabe der chirurgischen Abteilung – in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Universitätsklinik in der Pulsstraße – war die Behandlung schwangerer Frauen mit Tuberkulose oder TB-Verdacht. Sie wurden während und nach der Entbindung betreut. Dafür stand ein eigener Kreißsaal zur Verfügung, außerdem eine Entbindungsstation mit mehreren Hebammen im sogenannten „Flachbau 2“. Die Neugeborenen wurden in der Säuglingsstation der Kinderabteilung weiter überwacht und betreut. Ab Anfang der 80er-Jahre, nachdem die Tuberkulose ihren Schrecken verloren hatte und eine Isolierung der tuberkulösen Schwangeren nicht mehr für notwendig erachtet wurde, wurde auch der Kreißsaal kaum mehr benutzt (abgesehen davon, dass er über mehrere Jahre als Drehort für die Fernsehserie „Schwester Stefanie“ diente).

Bei Notfalleinsätzen im Kreißsaal wurde der am schnellsten erreichbare Arzt gerufen und in der Hektik auch mal ein Notruf aus dem Kreißsaal von der Pforte besonders dringlich weitergeleitet: „Machen Sie schnell, der Muttermund ist schon fünfmarkscheingroß!“

In der wöchentlichen gynäkologischen Sprechstunde wurden alle Patientinnen untersucht, um eine mögliche Ausdehnung der Tuberkulose auf den genitalen Bereich abzuklären. Darüber hinaus waren die Beseitigung von narbigen Stenosen und die Einengung der Gebärmuttertuben bei Genitaltuberkulose durch chirurgische Rekanalisation von großer Bedeutung.

Freise und Gabler entwickelten das Konzept, nach dem die Tuberkulose des genitalen und die des Harnsystems zusammen zu betrachten wären (Urogenital-Tuberkulose) und arbeiteten hier eng mit der Abteilung für Urologie der Universitätsklinik in Steglitz zusammen. Die chirurgische Arbeit bestand in erster Linie darin, die Nierenfunktion zu kontrollieren und aufrechtzuerhalten (z. B. durch zystoskopische Einlegung einer Ureter-Schiene).

Die thorakale Sympathektomie war ein weiteres Spezialgebiet von Freise und Gabler: Patienten mit pathologischer Schweißbildung an den Händen operierten sie mit einer axillären Minithorakotomie für die Durchtrennung des sympathischen Grenzstranges. Die Ergebnisse waren sehr gut und besonders beeindruckt und dankbar waren die Patienten.

Patientenaufklärung, heute eine Selbstverständlichkeit, wurde schon von Freise und auch Gabler großgeschrieben. Die Patienten wurden umfassend informiert, um eine gute Kooperation und Mitverantwortung zu gewährleisten. In der gablerschen Zeit entwickelte sich, wie Allica berichtet, in der Patientenaufklärung eine besondere Form des Vertrauens zwischen dem Patienten und dem Operateur und so war es möglich, in persönlichen Gesprächen eventuelle Wissenslücken zu schließen.

Allicas Resümee seiner Heckeshorner Jahre: „Wir waren uns bewusst, dass wir dieselben Kranken behandelten, sodass viele Entscheidungen, für die eine Abteilung zuständig war, mit der anderen freundschaftlich beraten wurden. Wir waren eine Gruppe von Ärzten mit unterschiedlichen Fähigkeiten und verschiedener medizinischer Ausbildung, die zu jenem Zeitpunkt, bezüglich der Arbeit, die wir ausübten, bereit war, sich in dieselbe Richtung zu bewegen.“

Literatur

  • [1] Freise G, SchülerW. Gleichzeitige Saugdrainage und Thorakeuryse nach Pneumonektomie. Prax. Pneumol. 1964; 18: 299–304

  • [2] Freise G. 25 Jahre Lungenchirurgie in Heckeshorn. Berl. Ärztebl. 1976; 89(14): 736–739, (15): 777–782

  • [3] Gabler A.15 Jahre Erfahrungen mit Thorakorynther bei Pneumonektomien. Prax. Pneumol. 1974; 28: 1045–1052

  • [4] Kuhl U, Zschau J,Werich HM, Wieske P. Analyse der postoperativen Beatmung nach thoraxchirurgischen Eingriffen. Atemw.- u. Lungenkrkh. 1987; 19(3): 96–100

  • [5] Liebig S, Radenbach KL. In memoriam Priv.-Doz. Dr. Achim Gabler. Prax. Klin. Pneumol. 1984: 38

  • [6] Radenbach KL. Dr. Günter Freise verabschiedet [unveröffentlichte Laudatio, gehalten am 8.11.1975 im Rahmen der wissenschaftlichen Sitzung der Lungenklinik Heckeshorn und des Berufsverbandes der Ärzte für Lungen- und Bronchialkunde e.V.]



60 Jahre Lungenklinik Heckeshorn Der Artikel ist dem vorliegenden Band zum 60-jährigen Jubiläum der Klinik entnommen. Dieser versammelt zahlreiche Beiträge zu der Entwicklung der einzelnen Abteilungen und Funktionsbereiche, Porträts zentraler Persönlichkeiten sowie Geschichten aus dem Klinikleben und dokumentiert zugleich die vielfältige Vernetzung der Lungenklinik Heckeshorn in der internationalen "Szene" der Pneumologie und Thoraxchirurgie.




DOI: 10.1055/b-002-19465
Seehausen, Vera; Bauer, Torsten T.; Kaiser, Dirk; et al.: 2007
Von der Phthisiologie zur Pneumologie und Thoraxchirurgie 60 Jahre Lungenklinik Heckeshorn
Print ISBN 9783131346513
Online ISBN 9783131864611