Die Lungenklinik heute
Torsten T. Bauer
Die Lungenklinik kehrt zurück - oder:
„Wo wir sind ist vorne“
Wo liegt Heckeshorn? Die Antwort auf die Frage wird nicht jeder Pneumologe, Internist oder Thoraxchirurg direkt beantworten können, dennoch ist jedem, der sich in irgendeiner Form mit der Lunge beschäftigt klar, dass es vorne liegt. Heckeshorn ist das Nivea unter den Lungenkliniken, ein Markenzeichen für besonders gute Lungenmedizin. Es sind sicher die Menschen, die diese Marke geprägt haben und viele – sicher nicht alle – sind in diesem Buch zu Wort gekommen. Häufig werden sie als charismatisch beschrieben, vielleicht waren sie aber auch im Wesentlichen autoritär, zwei Attribute, die im Nachhinein häufig unter Trennschärfe leiden. Sicher ist jedenfalls, dass derjenige, der in Heckeshorn gearbeitet hat, sich ausschließlich für die Lunge interessierte. Dieswar ein entscheidender Vorteil, der Heckeshorn groß und über die Grenzen Berlins hinaus bekannt gemacht hat. Lungenärzte, Chirurgen, Kinderärzte, Onkologen, Infektiologen, Allergologen, Umweltmediziner, Intensivmediziner, Somnologen, Mikrobiologen, Laborärzte, Pathologen, Zytologen, Radiologen, Nuklearmediziner, Anästhesisten, Psychologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Apotheker, ein eigener Tierstall. Einfachere Gemüter mögen gewillt sein zu glauben, dass dahinter so eine Art Campusidee für die Lunge gesteckt hatte, das war wahrscheinlich nicht so, wie uns in den ersten Kapiteln erläutert wurde. Aber die lenkenden Köpfe der Lungenklinik haben mehr als andere bewiesen, dass sie die soziale Intelligenz und das Durchsetzungsvermögen hatten, die Stadtrandlage zum Campus umzuinterpretieren. Das hat funktioniert: wer etwas über die Lunge wissen wollte, ging nach Heckeshorn und fand, was er suchte.
Lageplan des Geländes Heckeshorn (mod. Grafik: J.O.Evers)
Wo liegt Heckeshorn? Am Stadtrand von Berlin, vielleicht weil die Lungenheilkunde zur Zeit der Planung dieser Klinik möglichst weit weg von den Häusern der Planenden liegen sollte? Nein, die Begründung hierfür waren die Tuberkulösen, die vor allem viel frische Luft, viel Ruhe und viel Distanz brauchten. So sind viele Lungenkliniken außerhalb der Städte entstanden und liegen dort auch heute noch. Um zu verstehen, wo Heckeshorn liegt, muss der Leser sich also zuerst der Infektiologie zuwenden, eineWende, die dem Autor berufungsgemäß besonders leicht fällt. Wirklich wirksame Medikamente gegen die Tuberkulose standen in nennenswerter Menge erst nach dem Zweiten Weltkrieg zur Verfügung. Bis dahin galt die Heilkur, die in ihrer medizinischen und sozialen Auswirkung auf die Menschen sicher nirgendwo besser beschrieben ist als in Thomas Manns Zauberberg, als das Maß der Dinge. Es gab zu dieser Zeit lange Liegezeiten von bis zu einem Jahr und die Chancen auf Heilung von der Tuberkulose waren gelinde gesagt bescheiden. Mit der breiten Einführung der Antituberkulotika verbesserte sich die Prognose der Patienten erheblich und ist heute von der einer „normalen“ Lungenentzündung kaum mehr zu unterscheiden. Somit ist die Angst vor der Tuberkulose heute überwiegend ein Problem der Aufklärung. Wo die Menschen, die das Leid der Tuberkulosekranken noch direkt oder indirekt mitbekommen haben, heute noch zurückscheuen wie vor dem Zerrbild des Antichristen, sehen nachgeborene Infektiologen diese Infektion deutlich gelassener. Kenner der Tuberkulose wissen, dass es auch hier Ausnahmen gibt und dass die Öffnung Osteuropas neue Probleme gebracht hat. Alle Experten sind sich aber einig, dass hier nur die globale Initiative eine Lösung bringen kann.
Wo liegt Heckeshorn? Am Stadtrand von Berlin, weil die Tuberkulose ansteckend ist und eine nicht oder nur schwer heilbare Erkrankung war. Unterstellt man den Gründern einer solchen Klinik nicht ausschließlich eigennützige, sondern geradezu überwiegend gemeinnützige Gedanken, so ist heute nicht mehr klar, warum Heckeshorn am Rande desWannsees liegen sollte. Im Zeitalter der digitalisierten Abrechnung einer Klinik ist monatlich nachzuvollziehen, welche Erkrankungen zu welchem Anteil in der Klinik behandelt werden. Die Tuberkulose taucht unter den 20 häufigsten Erkrankungen nicht mehr regelmäßig auf, dagegen stehen die Neubildungen der Atmungsorgane, die Behandlung der Schlafapnoe und die Behandlung anderer Infektionen und Entzündungen der Atmungsorgane ganz im Vordergrund. Brauchte die Tuberkulose den Lungen-Campus, so ist er der Diagnose und Therapie des Bronchialkarzinoms, also des Krebses der Lunge, abträglich. Eine Computertomografie ist heute Standard und Verfahren, die Radiologie und Nuklearmedizin verbinden wie z. B. das PET-CT, müssen folgen. Beide Verfahren sind kostspielig und müssen so betrieben werden, dass eine hohe Auslastung garantiert wird. Wenn der Lungenfacharzt also weiterhin mit dem Radiologen auf Augenhöhe diskutieren möchte, muss er dorthin ziehen, wo die Großgeräte sind. Die Onkologie ist bereits fachlich und formell Teil der Lungen- und Bronchialheilkunde geworden und steht aber inhaltlich heute da, wo die Tuberkulose bei Gründung der Klinik gestanden hat. Der Lungenkrebs ist eine nicht oder nur schwer heilbare Erkrankung und wenn hieraus eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie bei der Tuberkulose entstehen soll, muss ein neuer Campus entstehen. Der Pneumoonkologe braucht den intensiven Austausch mit anderen Kollegen, z. B. der Gastroenterologie oder der Orthopädie. Viele Therapieprinzipien sind vergleichbar, viele Substanzen und somit auch Erfahrungen im Nebenwirkungsspektrum sind übertragbar. Das Ziel muss ein onkologisches Zentrum sein, von dem die Pneumoonkologie profitieren kann und in dem klinische Forschung auf hohem Niveau betrieben werden kann. Voraussetzung hierfür ist die Konzentration aller wissenschaftlichen Kräfte an einem Ort, dem think tank, der ein Kristallisationskern für den klinischen Fortschritt in der Behandlung der Krebserkrankung sein muss. Ein solche Institution darf auf keinen Fall in Form und Inhalt seiner Aktivitäten den Universitätskliniken Konkurrenz machen, sondern sie muss ganz im Gegenteil harmonisch und symbiotisch die Infrastruktur für die klinische Umsetzung der universitär wissenschaftlichen Forschung bereitstellen. Die interdisziplinäre Umsetzung der Therapiekonzepte wird gemeinsam mit der überregional geschätzten Thoraxchirurgie auch am neuen Standort fortgesetzt. Eine weitsichtige Krankenhausleitung stellt ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung, um diese Perspektive zu entwickeln.
Wo liegt Heckeshorn? Am Stadtrand von Berlin, weil früher dort überwiegend Tuberkulosekranke behandelt wurden. Es ist aber auch der Ort, an dem die erste nächtliche Heimbeatmung bei Patienten mit chronisch respiratorischer Insuffizienz durchgeführt und publiziert wurde. Das Verfahren ist mittlerweile zu einer anerkannten Intervention geworden, wenn Patienten nicht von der maschinellen Beatmung entwöhnt werden können. So ist für diese Patienten ein Weiterleben mit akzeptabler Lebensqualität in speziellen Heimen, oder sogar zuhause möglich. Das Weaning, wie die Entwöhnung von der Beatmungsmaschine genannt wird, ist technisch und vor allem personell aufwändig und wird nur in speziellen Zentren durchgeführt. Die Anpassung der Beatmungstechnik an die individuellen Erfordernisse des Patienten verlangt eine profunde Kenntnis von Gasaustausch und Atemmechanik, die Teil der pneumologischen Ausbildung ist. Umden Anspruch der Pneumologie in diesem Gebiet auch gegenüber anderen Fachgesellschaften zu dokumentieren, hatte sich die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie 2005 in Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin umbenannt. Die Kollegen der Lungenklinik Heckeshorn verfügen über das Wissen, eine solch komplizierte Technik erfolgreich anzuwenden, und werden am neuen Standort Gelegenheit haben, dieses Wissen in einer Weaning-Station wieder zu bündeln. In Zeiten knapper Bettenund kurzer Liegezeiten wird diese Einrichtung die Intensivstation von Patienten entlasten können, die nicht mehr intensivpflichtig sind und „nur noch“ entwöhnt werden müssen.
Die Notwendigkeit zur Behandlung der Tuberkulose hatte zur Gründung der Lungenklinik am Heckeshorn des Wannsees geführt und war lange Zeit die Hauptaufgabe dieser Klinik. Aber auch die Infektiologie hat sich gewandelt. In der Tuberkulose besteht die Herausforderung in der Diagnostik, und eine leistungsstarke Mikrobiologie wird deshalb auch weiterhin zur Verfügung stehen. Die klinische Infektiologie in der Pneumologie konzentriert sich aber zunehmend auf die Pneumonie und die Exazerbation der COPD. Die ambulant erworbene Pneumonie ist eine Herausforderung an den rationalen Einsatz von Diagnostik und Therapie, und die Prävention und effektive Therapie der nosokomialen Pneumonie sichert das Überleben eines Krankenhauses, da die damit verbundenen Kosten im DRG-System nur unzureichend abgebildet werden. Tägliches Brot der Infektiologie bleiben die „alten“ und lang bekannten Erreger. Bei bis zu 15000 Grippe- und über 20 000 Pneumonietoten im Jahr ist hier die zentrale Aufgabe zu sehen. Ausbrüche von SARS oder H5N1-Virus haben klinisch bisher auch nicht annähernd diese Bedeutung erlangt. Jedoch ist abzusehen, dass Infektionen mit z. B. CA-MRSA in naher Zukunft die Infektiologie besonders in der Pneumologie herausfordern werden.
Wo liegt Heckeshorn? Das Heckeshorn ist eine Landzunge am Südufer des Wannsees zwischen Potsdam und Berlin auf dem Gebiet des Stadtbezirkes Steglitz/Zehlendorf, muss in Zukunft die korrekte Antwort lauten. Die Lungenklinik gleichen Namens hat die Stadtrandlage aufgegeben, um den veränderten Anforderungen an die Patientenversorgung auch in Zukunft gerecht zu werden. Die Marke Heckeshorn aber existiert weiter, und die Frage muss noch präziser gestellt werden, um die beabsichtigte Information zu erhalten: Wo liegt die Lungenklinik Heckeshorn? Auf dem Campus des HELIOS Klinikums Emil von Behring in Berlin- Zehlendorf. Ganz weit vorne.
Haupteingang Walterhöferstraße 11, HELIOS Klinikum Emil von Behring (Quelle: J.O.Evers)
Der Artikel ist dem vorliegenden Band zum 60-jährigen Jubiläum der Klinik entnommen. Dieser versammelt zahlreiche Beiträge zu der Entwicklung der einzelnen Abteilungen und Funktionsbereiche, Porträts zentraler Persönlichkeiten sowie Geschichten aus dem Klinikleben und dokumentiert zugleich die vielfältige Vernetzung der Lungenklinik Heckeshorn in der internationalen "Szene" der Pneumologie und Thoraxchirurgie.
DOI: 10.1055/b-002-19465
Seehausen, Vera; Bauer, Torsten T.; Kaiser, Dirk; et al.: 2007
Von der Phthisiologie zur Pneumologie und Thoraxchirurgie 60 Jahre Lungenklinik Heckeshorn
Print ISBN 9783131346513
Online ISBN 9783131864611