Verein der Freunde der

Die Vor- und Gründungsgeschichte

Manfred Stürzbecher

Die Tuberkulosebekämpfung in Berlin und die
Vor- und Gründungsgeschichte von Heckeshorn

Ehemaliger EingangEhemaliger Haupteingang Landestuberkulosekrankenhaus Heckeshorn, am Großen Wannsee 80, ca. 1949 (Quelle - Bildarchiv des Vereins)

Unter den übertragbaren Krankheiten im 20. Jahrhundert nahm die Tuberkulose eine Sonderstellung ein. Sie stellte nicht nur ein Problem der aktuellen Seuchenbekämpfung dar, sondern war auch eine Frage der Gesundheitsfürsorge. Deshalb galt die Bekämpfung der Tuberkulose nach dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 (und seinen drei Durchführungsverordnungen)
nicht als eine Dienstaufgabe der Seuchenbekämpfung in den Gesundheitsämtern, sondern dafür waren bezirkliche Tuberkulosefürsorgestellen vorgesehen, in denen neben dem Arzt auch Fürsorgerinnen tätig waren. Im Hauptgesundheitsamt der Reichshauptstadt war die „Tuberkulosebekämpfung und -Fürsorge“ dem Dezernat VI Sozialhygiene unter dem Abteilungsleiter Theodor Paulstich zugeordnet.

Da es in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts keine spezifische medikamentöse Therapie gegen die Tuberkulose gab, sondern sich spezielle Diät- und vor allem die Freiluft-Liegekuren als Behandlungsmethoden herausgebildet hatten,waren eigene Heilstätten in klimatisch begünstigten Landschaften entstanden. Diese Therapieform auch den weniger zahlungskräftigen Bevölkerungskreisen zugänglich zu machen, war die Zielsetzung der Heilstättenbewegung, die sowohl die Fürsorgestellen im ambulanten Bereich als auch die „Volksheilstätten“ (teils in Trägerschaft von gemeinnützigen Vereinen, teils in Trägerschaft der Sozialversicherung) auf- und ausbauten. Die wirtschaftliche und politische Entwicklung, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg, führte dazu, dass diese zunächst vorwiegend von freien, gemeinnützigen Trägern geleistete Gesundheitspflege in die Hand der Kommunen und anderer öffentlicher Einrichtungen überging. Unabhängig davon gab es in der Diagnostik und Therapie, z. B. Pneumothorax und Thorakoplastik, Fortschritte, die einen größeren klinischen Aufwand erforderlich machten, sodass sich die Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose je nach Erscheinungsform der Krankheit ausdifferenzierten.

Aufgrund einer lückenhaften Archivlage, gerade für die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges, ist es kaum möglich, einen Gesamtüberblick über alle in Berlin befindlichen stationären Einrichtungen für Tuberkulosekranke zu geben. Einen gewissen Einblick bietet das sogenannte „Graubuch“ [1] (Tab.1.2.1) von 1941, das einige Institutionen nennt. Allerdings sind dort weder alle Krankenhäuser erfasst, in denen akute Fälle von Tuberkulose behandelt wurden, noch sind die Fälle berücksichtigt, in denen Patienten von den Versicherungsträgern in die Heilstätten anderer Träger überwiesen wurden. Die Abgrenzung der stationären Betten für Tuberkulosekranke ist, wie auch die Anmerkungen der Tabelle zeigen, daher ausgesprochen schwierig. Während des Krieges wurden die Verhältnisse durch Einrichtung von Militärlazaretten, Auslagerung unterschiedlichster Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens, Zerstörungen usw. noch unübersichtlicher. Immerhin lässt sich für 1943 feststellen, dass insgesamt 12000 TB-Kranke in die Heilstätten des Berliner Umlandes geschickt werden konnten [2].

ArztzimmerArztzimmer, ca. 1949 (Quelle - Bildarchiv des Vereins)

Zudem kam es zu erheblichen demografischen Veränderungen in der Stadt, u. a. durch die Einberufung der männlichen Bevölkerung zurWehrmacht, die Evakuierung von Müttern, Kindern und älteren Menschen und auch infolge der Konzentration von Arbeitskräften in „Lagern“ mit schlechterenWohnverhältnissen. Ein besonderes Problem stellte die Tuberkulose bei den damals sogenannten „Fremdarbeitern“ dar, die von der immer geringer werdenden Lebensmittelzuteilung besonders betroffenwaren. Der Bombenkrieg und die gegen Kriegsende einsetzende Flüchtlingsbewegung aus den „Ostgebieten“ verschärften die Situation noch weiter. Die überlieferten Zahlen über die Tuberkuloseerkrankungen in Berlin um das Jahr 1945 sind wegen der weitgehend unbekannten Erfassungsgrundlagen wenig zuverlässig. Unbestreitbar ist, dass es zu einem Anstieg der Neuerkrankungen und zu einem schweren Verlauf der Erkrankung in allen Bevölkerungsschichten gekommen ist. Allgemein wird von einer Gesamtzahl von 65000 Tuberkulosekranken ausgegangen; im Juni 1946 meldete der „Tagesspiegel“ 50 000 Erkrankte, darunter
20 000 mit offener Tuberkulose [3]. Nach Curt Meyer [4] ließ sich eine erhöhte Tuberkulosemortalität
und -morbidität in den Jahren von 1939 bis 1950 nachweisen, die erst ab 1948/49 eine rückläufige Tendenz zeigte. Im Zeitraum von 1948 bis 1952 sank die Zahl der gemeldetenTuberkulosefälle von 31105 auf 13904, die Zahl der Todesfälle von 3176 auf 1626, wobei die Zahlen von 1952 einen nahezu gleich hohen Anteil im Westen wie im Osten aufwiesen [5].

Nach der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee und dem Einzug der anderen drei Besatzungsmächte im Spätsommer 1945 stand zunächst die Bekämpfung der akuten Infektionskrankheiten im Vordergrund des behördlichen Interesses der deutschen Verwaltung; auch die Besatzungsmächte waren daran interessiert, ihre Soldaten entsprechend zu schützen. In der Gesundheitsverwaltung übten die vier Siegermächte durch besondere Sanitätsoffiziere das Direktionsrecht aus, wobei sich bald bemerkbar machte, dass sie sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Wiederaufbau des Gesundheitswesens vertraten.

PatientenzimmerPatientenzimmer, ca. 1949 (Quelle - Bildarchiv des Vereins)

Offensichtlich haben die Sanitätsbeauftragten der Alliierten schon sehr früh auf die Einrichtung besonderer Heilstätten im Stadtgebiet gedrungen. Im sowjetischen Sektor waren die Institutionen der Tuberkulosebekämpfung zwar weitgehend erhalten, wurden aber in der ersten Nachkriegszeit von der Roten Armee genutzt. Schon bald machte sich in der Alliierten Kommandantur für Berlin auch auf diesem Gebiet die Sonderentwicklung zu einem sozialistischen Gesundheitswesen bemerkbar. Für den amerikanischen und britischen Sektor wurden sowohl von den Vertretern der Besatzungsmächte als auch von der Abteilung für das Gesundheitswesen des Magistrats (Landesgesundheitsamt) neben den Tuberkuloseabteilungen in den örtlichen Akut-Krankenhäusern zeitgemäße – der Notsituation der Nachkriegszeit angepasste – Nachfolgeeinrichtungen für die verloren gegangenen Heilstätten angestrebt.

Viele Einrichtungen zur Tuberkulosebekämpfung standen in Berlin 1945 nicht mehr zur Verfügung: die Heilstätten in Beelitz waren sowjetisches Militärlazarett, Sternberg lag östlich der Oder und damit im polnischen Hoheitsbereich, Müncheberg wurde bei Kampfhandlungen zerstört. Im Frühjahr 1946 waren zwar 14 Lungenheilstätten und zwei Kinderheilanstalten wieder zugänglich, konnten jedoch eine ausreichende Verpflegung der Patienten nicht gewährleisten [2]. Erste größere Verschickungen ins Umland fanden ab 1947/48 statt, nach 1949, mit der Teilung Berlins, konnten Patienten aus den Westsektoren nur noch bedingt in den im Ostsektor bzw. der DDR liegenden Heilstätten wie Buch, Birkenwerder oder Sommerfeld untergebracht werden. Die Grundlagen der alten Heilstättenbewegung waren demnach nach Kriegsende de facto nicht mehr vorhanden, insbesondere im Westteil der Stadt wurde dies spürbar. Hier entstanden neue Strategien der Tuberkulosebekämpfung, z. B. Reihenuntersuchungen in den Tuberkulosefürsorgestellen oder die möglichst flächendeckende „Calmette-Impfung“, an der sich auch Karl Auersbach beteiligte. Im August 1945 standen laut Landesgesundheitsamt in Berlin insgesamt nur 1577 Betten für die stationäre Versorgung der Tuberkulosekranken zur Verfügung [2]. Die Alliierten setzten sich daher 1946 zum Ziel, diese Zahl auf 7000 Betten zu erhöhen, bis 1948 verfügte Berlin dann immerhin über 6145 Betten. Der Aufbau der stationären Versorgung wurde oftmals durch die baulichen Gegebenheiten behindert, so verzögerte sich die Eröffnung der Tuberkuloseabteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses mit 300 Betten, weil das Glas für die Fensterverglasung fehlte. Allerdings konnte dort die Lupusbekämpfung bis zur Eröffnung des Klinikums Steglitz fortgeführt werden. Die Hauttuberkulose wie überhaupt die extrapulmonalen Formen der Tuberkulose hatten praktisch ihre Bedeutung verloren, sodass kein Bedarf mehr an einer speziellen fürsorgerischen Betreuung dieser Patienten bestand.

Noch vor der Währungsreform und der Spaltung der Verwaltung 1948/49 müssen die USAmerikaner und die Briten auf die Errichtung von speziellen Tuberkulose-Krankenhäusern in ihren Sektoren beim Landesgesundheitsamt gedrängt haben, wobei bisher kaum Einzelheiten über diese Verhandlungen und die beteiligten Personen ermittelt werden konnten. Aus dem Aktenbestand des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin (Krankenhausaufsicht) ist zu schließen, dass für diese Krankenhäuser eine Sonderstelle im Dezernat Sozialhygiene bestanden haben muss, und aus bürokratischen Details ist ersichtlich, dass die Magistrats- bzw. Senatsdirektoren Paul Piechowski, Erich Schröder und Barbara von Renthe-Fink sich immer wieder eingeschaltet haben.

Liegekuren im FreienLiegekuren im Freien, ca. 1949 (Quelle - Bildarchiv des Vereins)

Welchen Stellenwert der Tuberkulosebekämpfung und der Ausstattung der damit betrauten Häuser beigemessen wurde, machte Senator Dr. Conrad anlässlich der Einweihung eines neuen Gebäudes des „Städtischen Tbc-Krankenhauses Havelhöhe“ (gegr. 1950) deutlich: Es sei nicht beabsichtigt, „die Tbc-Bekämpfung nur auf die Tbc-Krankenhäuser Havelhöhe und Heckeshorn zu beschränken. Diese sollten aber die beiden großen Tbc-Krankenhäuser Berlins werden.“ Es sei ebenso geplant, auch die Tbc Abteilungen der städtischen Krankenhäuser weiter auszubauen [6]. Nach Angabe des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) konnten 1952 in nur fünf Einrichtungen chirurgische Eingriffe wie Lungenresektionen durchgeführt werden, darunter die beiden Landestuberkulosekrankenhäuser Havelhöhe (Dr. Unholtz) und Heckeshorn (Dr. Auersbach, unter Leitung von Dr. Baukhage aus dem Städtischen Krankenhaus Hohengatow). Die direkte Vorgeschichte von Heckeshorn ist insofern nicht einfach zu rekonstruieren, da weder bei der Hauptverwaltung noch im Bezirk bzw. dem jetzigen Träger des Krankenhauses Originalunterlagen der Nachkriegszeit überliefert sind. Schon im August 1945, wahrscheinlich schon zur Zeit des Einrückens der Amerikaner in ihren Sektor, war in neun Villen in der Straße Am GroßenWannsee ein Städtisches Krankenhaus mit 335 Betten eingerichtet worden. Wie sich aus dem Gutachten des Medizinalstatistikers Karl Freudenberg („Denkschrift über eine Zielplanung für die Berliner Krankenanstalten“), dem viele heute nicht mehr zugängliche Unterlagen zur Verfügung standen, aus dem Jahr 1961 ergibt, war diese Institution nur als Provisorium gedacht, das immerhin bis 1970 bestand. 1946 wurde die Gründung von Heckeshorn beschlossen:

„Die während des Krieges unzerstört gebliebenen
Gebäude der ehem. Reichsluftkriegsschule wurden
nach anfänglicher Nutzung durch die amerikanische
Besatzungsmacht am 1.10.1946 der Stadt Berlin zur
Errichtung eines Tuberkulose-Krankenhauses überlassen.“

Als drei „Besondere Einrichtungen“ des Landestuberkulosekrankenhauses
Heckeshorn nennt Freudenberg:

„1. Apotheke (versorgt auch Städt. Krankenhaus
Wannsee)
2. Sonderstation für tuberkulöse Schwangere
3. Kinderstation mit Absonderung für Säuglinge zur
BCG-Schutzimpfung.“

Aus dem Anstaltspass des Jahres 1963 ergibt sich, dass für Heckeshorn ordnungsbehördlich folgende Abteilungen von der Krankenhaus-Abteilung des Senators für Gesundheitswesen zugelassenwaren:

  1. Diagnostische Abteilung mit 75 Betten sowie Geschwulstberatungsstelle, Lungenfunktionsund
    Kreislauflabor, Endoskopische Abteilung.
  2. Innere Abteilung mit 180 Betten, Stationen für konservative Therapie sowie Beschäftigungstherapie,
    Inhalatorium.
  3. Chirurgische Abteilung mit 120 Betten sowie Wachstation, septische Abteilung, Entbindungsabteilung,
    Anästhesieabteilung.
  4. Kinderabteilung mit 75 Betten, Quarantäne-Station, Behandlungs-Station, BCG-Station sowie
    Kindergarten und Schule.
  5. Zentrallaboratorium mit Bakteriologischer Abteilung, Versuchstierstall, klinisch-chemisches Labor, hämatologisches Labor, Desinfektion. Außerdem: Röntgen-Abteilung mit Fotolabor, Pathologisch-zytologische Abteilung, Apotheke.

Diese Aufstellung gibt die ordnungsbehördliche Zulassung für die Städtische Lungenklinik Heckeshorn am Ende der Amtszeit von Karl Auersbach wieder, womit die erste Epoche dieses Spezialkrankenhauses abgeschlossen war. Trotz der Blockade der Westhälfte der Stadt durch die Sowjets gelang es Auersbach und seinen Mitarbeitern und später seinen Nachfolgern, diese neue Heilstätte zu einem funktionsfähigen Spezialkrankenhaus mit wissenschaftlichen Ansprüchen auszubauen.

Literatur

  • [1] Die Einrichtungen des Wohlfahrts- und Gesundheitswesens sowie sonstigen gemeinnützigen
    Einrichtungen in der Reichshauptstadt Berlin, Archiv fürWohlfahrtspflege Berlin 1941
  • [2] Dinter A. Seuchenalarm in Berlin. Teil II: Seuchengeschehen und Seuchenbekämpfung in Berlin nach dem II. Weltkrieg. Berlin: Frank Wünsche 1999
  • [3] Der Tagesspiegel vom 5. Juni 1946, nach: Medizinische Klinik 1946; 7: 119
  • [4] Meyer C. Die Entwicklung der Tuberkulose in Berlin. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose 1951; 103: 408–428
  • [5] Die anzeigepflichtigen übertragbaren Krankheiten in Berlin 1952 nach den sanitätspolizeilichen Angaben. Angaben des Senators für Gesundheitswesen, Abt. für Berichts- und Zahlenwertung. Berl. Ges.bl. 1953 (4); 11: 259. Vgl. auch Reinecke P. Tuberkulosefürsorge. Der Kampf gegen eine Geißel der Menschheit am Beispiel Berlin 1895–1945. Weinheim: Beltz 1988; Stürzbecher M. Die medizinische Versorgung und die Entstehung der Gesundheitsfürsorge zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Mann G, Winau R (Hrsg.). Medizin, Naturwissenschaft, Technik und das zweite Kaiserreich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1977: 239–258
  • [6] Schultze. Tbc-Krankenhaus Havelhöhe erweitert. Berl. Ges.bl. 1953; 3: 102

60 Jahre Lungenklinik Heckeshorn Der Artikel ist dem vorliegenden Band zum 60-jährigen Jubiläum der Klinik entnommen. Dieser versammelt zahlreiche Beiträge zu der Entwicklung der einzelnen Abteilungen und Funktionsbereiche, Porträts zentraler Persönlichkeiten sowie Geschichten aus dem Klinikleben und dokumentiert zugleich die vielfältige Vernetzung der Lungenklinik Heckeshorn in der internationalen "Szene" der Pneumologie und Thoraxchirurgie.




DOI: 10.1055/b-002-19465
Seehausen, Vera; Bauer, Torsten T.; Kaiser, Dirk; et al.: 2007
Von der Phthisiologie zur Pneumologie und Thoraxchirurgie 60 Jahre Lungenklinik Heckeshorn
Print ISBN 9783131346513
Online ISBN 9783131864611